Generative KI im Aufsichtsrat
Lesedauer: 5 Minuten | Kategorie: Aufsichtsrat & Beirat | Thema: KI im Aufsichtsrat
Viele Top-Führungskräfte suchen ein Mandat, wissen aber nicht, wie sie sich richtig dafür positionieren. The Boardroom unterstützt sie auf ihrem Weg ins Gremium.
Gute Gremien brauchen bessere Fragen – nicht lautere Antworten
Ein Beitrag von Klaus F. Jaenecke
Er ist seit 20 Jahren Multi-AR mit Erfahrung aus über 15 Mandaten im industriellen Mittelstand. Zudem ist er Vorstandsvorsitzender von ARMID – Aufsichtsräte Mittelstand in Deutschland e.V. Weitere Erfahrungen erhielt er als Co-Gründer einer M&A Unternehmensberatung sowie durch verschiedene internationale Berufsstationen in einer mexikanischen Gruppe, britischen Merchant Bank und insbesondere im M&A Bereich von Goldman Sachs in New York und London.
Wie KI die Aufsichtsratsarbeit schärft
– und warum das für die Business Judgement Rule zählt
Wenn in Gremien die Lautstärke über die Richtung entscheidet, verliert oft die beste Idee. Wirksame Aufsichtsräte sind heute weniger Antwortmaschinen als Architekten guter Fragen. Sie schaffen Rahmenbedingungen, in denen Widerspruch erwünscht ist, Perspektivwechsel gelingen und Entscheidungen auf einer tragfähigen Informationsbasis getroffen werden. Die zentrale These dieses Beitrags:
“Ein starkes Gremium entsteht nicht allein durch individuelle Brillanz, sondern durch ein Umfeld, das konstruktive Konflikte und strategisches Denken zulässt – und genau dieses Umfeld lässt sich mit GenAI im Aufsichtsrat gezielt stärken.”
Das ist nicht nur ein Performance‑, sondern auch ein Haftungsthema: Bessere Informationsbeschaffung und Analytik unterstützen die „angemessene Informationsgrundlage“ im Sinne der Business Judgement Rule (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG).
Aufsichtsräte als kollektive, nicht‑hierarchische Einheit
Idealtypisch funktioniert ein Aufsichtsrat als kollektive Instanz ohne Deutungshoheit einzelner Personen. Jede Stimme zählt – besonders, wenn Risiken und Chancen aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet werden müssen. In komplexen Lagen wie Transformation, M&A, Cyber oder ESG/CSRD gilt „Divergenz vor Konvergenz“: Erst werden Hypothesen breit gesammelt und Annahmen explizit gemacht, anschließend werden Optionen fokussiert und Entscheidungen begründet. KI im Aufsichtsrat wirkt hier als Katalysator. Sie entscheidet nicht, erhöht aber die Qualität der Vorbereitung und der Debatte, indem sie Wissensunterschiede verringert, Begriffe präzisiert und blinde Flecken sichtbar macht.
Was ein wirksames Aufsichtsratsmitglied heute auszeichnet
Wirksamkeit beginnt mit Unabhängigkeit im Denken und einer klaren Ausrichtung am Unternehmenswohl. Loyalität gilt der Strategie und dem langfristigen Wert, nicht der Bestätigung bestehender Überzeugungen. Exzellente Mandatsträgerinnen und Mandatsträger bereiten sich vor: Sie lesen konsequent, strukturieren die Faktenlage, prüfen Quellen und denken Szenarien – vor, nicht während der Sitzung. In der Sitzung selbst stellen sie pointierte, respektvolle Fragen. Der Mehrwert liegt nicht im spontanen Antworten‑Können, sondern im Formulieren der entscheidungsrelevanten Fragen.
Eine stringente Priorisierung hilft: Zuerst der Wert‑ und Risikobeitrag, danach Zeitkritik und schließlich Governance & Compliance. So bleibt das Gremium wirksam, auch bei unvollständiger Datenlage.
Diversität – notwendig, aber nicht automatisch wirksam
Vielfalt verbessert Entscheidungen, wenn sie auf vergleichbarer Informationshöhe stattfindet. In der Praxis verpufft der Diversitätsvorteil oft an unterschiedlichen Flughöhen – beim Wissensstand, bei der fachlichen Sicherheit oder in der Rhetorik. GenAI kann hier als Equalizer nach oben wirken. Kuratierte, prägnante Vorbereitungsdossiers, übersichtliche Glossare und bewusst eingebrachte Gegenpositionen heben die Diskussion auf ein gleichwertigeres Niveau. Diversität wird so nutzbar und nicht nur vorzeigbar.
GenAI als Werkzeugkasten für stärkere Gremienarbeit
In der Vorbereitung verdichtet KI im Aufsichtsrat die Informationsflut zu handhabbaren Dossiers pro Traktandum: zwei Seiten mit Kernaussagen, Quellen‑Heatmap und klaren Begriffsklärungen. Ein Plausibilitäts‑Spiegel vergleicht Managementaussagen mit externen Benchmarks, Markt‑ und Regulatorik‑Signalen. So entsteht Substanz, ohne die Unterlagen zu überfrachten.
Im Fragendesign unterstützt GenAI beim Entwurf präziser Leitfragen je Thema – geordnet nach Wert/Risiko, Zeitkritik und Governance. Argument‑Maps helfen, Hypothesen, Annahmen, Evidenz und offene Punkte sichtbar zu machen und die Diskussion entlang eines roten Fadens zu führen.
Als Blind‑Spot‑Radar simuliert KI im Aufsichtsrat strukturierte Gegenpositionen und weist auf ausgelassene Stakeholder oder Single Points of Failure hin. Das schützt vor Groupthink und verhindert, dass das Gremium in Bekanntem verharrt.
Für Szenarien und „What‑if“-Abschätzungen liefert GenAI im Gremium schnell belastbare Varianten: Best‑, Plan‑ und Worst‑Case mit Sensitivitäten auf zwei bis drei Hauptannahmen. Ebenso erkennbar werden Zeitfenster und Lock‑in‑Risiken: Welche Optionen verfallen in 30 oder 90 Tagen – und zu welchem Preis?
In der Dokumentation unterstützt GenAI bei Beschlussbegründungen, der Extraktion von To‑dos sowie bei Termin‑ und Risiko‑Nachhaltung. Über mehrere Sitzungen hinweg lassen sich „Lessons Learned“ systematisch festhalten, sodass das Gremium iterativ klüger wird. Wichtig ist die richtige Governance: GenAI ist Berater, kein Entscheidungsträger; sensible Daten gehören in geschützte, unternehmensinterne Umgebungen.
Rechtsrahmen im Blick:
Business Judgement Rule (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG)
Die Business Judgement Rule schützt unternehmerische Entscheidungen, wenn sie zum Wohl der Gesellschaft und auf einer angemessenen Informationsgrundlage getroffen werden. Zwar richtet sich § 93 AktG primär an Vorstände; bei zustimmungspflichtigen Geschäften wird der Maßstab in der Praxis vielfach auch auf Aufsichtsratsentscheidungen übertragen. Unabhängig von dogmatischen Details ist klar: Für Gremien ist die Qualität der Informationsbasis haftungsrelevant.
Gerade hier kann GenAI im Aufsichtsrat Mehrwert stiften:
- Erstens verbreitert und vertieft sie die Informationsgrundlage – durch kuratierten Zugriff auf Branchenberichte, Wettbewerbsdaten, Regulatorik, Lieferketten‑ und Technologiesignale.
- Zweitens macht sie Alternativen und Sensitivitäten transparent: Gegenrechnungen zeigen, wo eine Entscheidung kippen kann, und welche Maßnahmen in 90 Tagen greifen müssen.
- Drittens stärkt sie die Dokumentation. Ein sauberer AI‑Audit‑Trail hält Prompt, Quellen, Bewertungslogik, Zwischenergebnisse und Schlussfolgerungen fest. Damit wird die Abwägung nachvollziehbar, Mindermeinungen bleiben sichtbar und die Entscheidung gewinnt an Begründungstiefe.
All das ersetzt keine rechtliche Prüfung – es verbessert aber die Beurteilbarkeit, ob eine Entscheidung im Zeitpunkt ihrer Treffen auf einer angemessenen Informationsbasis beruhte.
Am Beginn steht die Klärung des Scopes: Welche Frage wird entschieden und was explizit nicht?
Darauf folgt die strukturierte Erhebung relevanter interner und externer Quellen mit Kennzeichnung ihrer Qualität und Aktualität. Alternativen und Risiken werden vergleichbar gemacht; mindestens zwei tragfähige Optionen werden samt „No‑Go“-Gründen dokumentiert. Szenarien – Best, Plan, Worst – werden mit den jeweils entscheidenden Annahmen und Frühindikatoren versehen.
Schließlich entsteht ein Entscheidungslogbuch, das Abwägungen, Quellen, Mindermeinungen und offene Punkte protokolliert und so die Nachvollziehbarkeit sicherstellt.
In jeder Phase unterstützt KI im Aufsichtsrat – als Verdichter, als Gegenleser, als Strukturgeber.
Fazit: GenAI macht Aufsichtsräte nicht „klüger“, aber wirksamer.
Sie sorgt für bessere Vorbereitung, präzisere Fragen und sauber dokumentierte Abwägungen – und damit für eine stärkere Informationsgrundlage im Sinne der Business Judgement Rule. In Zeiten struktureller Unsicherheit wird die Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen und sie gut begründet zu entscheiden, zur Kernkompetenz. Gremien, die GenAI als Verstärker einer fragenden, konstruktiv streitbaren Kultur nutzen, kommen schneller zu tragfähigen Antworten – ganz ohne lauter zu werden.
Hinweis: Dieser Beitrag bietet keine Rechtsberatung, sondern Praxisorientierung für Aufsichtsräte. Für konkrete Fälle sind qualifizierte Rechts‑ und Prüfungsexperten hinzuzuziehen.
Bereit für Ihre nächste Position im Vorstand oder eine andere C-Level Position?
The Boardroom bietet ein hochkarätiges Netzwerk und öffnet Türen für neue Karrieren.
Kontaktieren Sie uns.
Beruflicher Werdegang von Fortune-500-Topmanagern
Amerikanische Karrieren haben andere Voraussetzungen. Was Sie daraus lernen und wie Sie Ihr Ansehen steigern können, lesen Sie hier:
Erfolgreiche Positionierung für Aufsichtsrat oder Beirat
Wenn Sie ein Mandat suchen, benötigen Sie ein klares Profil und gutes Netzwerk sowie Geduld. The Boardroom unterstützt Sie bei ihrer Positionierung. Erfahren Sie mehr:
Abonnieren Sie unseren Newsletter Topmanagement Journal per E-Mail oder in LinkedIn Kanal The Boardroom – Karriereberatung für Top-Führungskräfte.